Als ich Ende 2016 vor die vollendete Tatsache gestellt wurde, dass ich mein Bein verlieren werde, da dachte ich: Jetzt wird alles gut. Endlich schmerzfrei leben können. Doch leider kam recht schnell die Ernüchterung. Phantomschmerzen machten sich bemerkbar. Ein Schmerz, den ich mir nicht erklären konnte. Das Gefühl, Schmerzen zu haben, wo keine sein können. Auch heute, nach meiner vierten Amputation am Bein, leide ich noch immer darunter. Teilweise sogar schlimmer als zu Anfang.

Überrollt mich so ein Phantomschmerz, erschrecke ich mich jedes Mal und bin für ein paar Minuten wie gelähmt. Das Beste, was mir bei solch einer Welle hilft, ist die Ablenkung. In meinem Job habe ich diese zum Glück, anders sieht es dann zu Hause aus. Ich versuche, mich erst gar nicht auf den Schmerz einzulassen, sondern meine Gedanken an etwas Positives zu knüpfen.
Im Nachfolgenden möchte ich auf die meistgestellten Fragen eingehen, die ein Amputierter unweigerlich zu diesem Thema hat.
Was sind Phantomschmerzen genau?
Unter Phantomschmerz versteht man eine Schmerzempfindung in einer amputierten Gliedmaße wie Bein oder Arm. Sehr viele Menschen – man geht von bis zu 80% aus – spüren unterschiedliche Schmerzen im amputierten Körperteil auch weiterhin, sei es nun der kleine Finger oder das komplette Beim inklusive Oberschenkel. Sie fühlen ein Kribbeln, Brennen oder auch eine verdrehte Position des betroffenen Gliedes.
Wichtig: Man muss unterscheiden zwischen dem oben genannten Phantomschmerz, dem Phantomglied (das Gefühl, die Gliedmaße sei noch vorhanden), und dem Stumpfschmerz, der eben vom verbliebenen Stumpf ausgeht und auch in Kombination mit dem Phantomschmerz auftreten kann.
Welche Ursachen hat der Phantomschmerz beziehungsweise Amputationsschmerz?
Die Ursachen der Phantomschmerzen sind enorm komplex und abschließend noch nicht genau geklärt, werden aber auf eine Veränderung im Gehirn zurückgeführt. So könnte es bei der Nervenregeneration ebenso zu einem solchem Schmerzempfinden kommen sowie auch durch eine veränderte Schmerzempfindlichkeit im Cortex (Großhirnrinde). Wahrscheinlich ist auch, dass durch die Umorganisation des Gehirns Konflikte zwischen alten und neuen Mustern entstehen. Die Forschung dazu hält an, doch bekannt ist, dass diese Beschwerden
- unterschiedlich stark bei jedem Betroffenen ausfallen und
- häufig durch äußere Einflüsse ungünstig belastet werden; dazu zählen zum Beispiel Stress, Wetterveränderungen, Wasserlassen, Stuhlentleerung und auch Geschlechtsverkehr.
Viele Betroffene berichten darüber, dass der Schmerz sich verringert bzw. erträglich wird, je länger die Amputation zurückliegt. Auch die Intensität der Schmerzen vor der Amputation spielt womöglich eine Rolle. Einige leiden jedoch ihr ganzes Leben darunter, was einen im Alltag dann auch einschränken kann. Der Erfolg bei einer Therapie hängt meiner Meinung nach auch davon ab, mit welcher Einstellung – für mich: wie positiv – man an die ganze Sache herangeht.
Welche Behandlung gibt es bei Phantomschmerzen?
In der Hauptsache arbeitet man mit Medikamenten, vor allem mit Opioiden oder Antidepressiva. Nicht jedes Medikament hilft bei jedem Patienten. Deshalb ist diese Therapie stets auf den Patienten abzustimmen, und ein ausführliches Aufklärungsgespräch seitens des Arztes ist notwendig. Im Nachfolgenden möchte ich ein paar Therapieformen aufzeigen:
Spiegeltherapie
Ich möchte das hier am Beispiel eines amputierten Beines erklären: Man braucht einen großen Spiegel, den man so zwischen die Beine nimmt, dass sich das gesunde Bein darin spiegelt. Man konzentriert sich nur auf das gesunde/erhaltene Bein. Mit unterschiedlichen Übungen versucht man jetzt das Gehirn auszutricksen, ihm zu signalisieren, dass beide Beine noch vorhanden sind und so keine Ausschüttung von Schmerzen notwendig sind.
Mit der Spiegeltherapie sollte man unmittelbar nach der Amputation beginnen, wenn das Schmerzempfinden am größten ist. Es hat sich gezeigt, dass man hier die besten Erfolge erzielen kann.
Sensorisches Wahrnehmungstraining (TENS-Therapie, Reizstrom)
Gute Ergebnisse kann man auch mit dem sensorischen Wahrnehmungstraining erzielen: Der Stumpf wird stimuliert, kombiniert mit bewusster Wahrnehmung von Reizen, was die Muster im Gehirn günstig beeinflussen kann. Dafür werden kleine Elektroden auf die Haut geklebt, durch die leichte elektrische Impulse geschickt werden. Diese Therapieform sollte aber immer mit einem Mediziner abgesprochen werden, da sie zum Beispiel für Risikopatienten mit Herzschrittmachern oder venösen Gefäßverschluß nicht geeignet sind.
Akupunktur
Dieses ist eine bekannte Therapie bei allgemeinen Schmerzen. Hierfür werden kleine Nadeln in die Haut gesteckt, meistens ins Ohr. Manch ein Patient empfindet hier keinen Schmerz, andere berichten darüber, dass es unangenehm ist. Bei der Akupunktur gibt es auch unterschiedliche Vorgehensweisen. Bei der sogenannten Dauertherapie bleiben die Nadeln bis zu einer Woche drin. Die andere Methode belässt die Nadeln für ca. 20 Minuten im Körper, bis sie von einem Mediziner entfernt werden.
Tragen einer Prothese, Liner oder einem Strumpf mit Silberfäden (Relax Night Care)
Bei vielen verringert sich der Schmerz, je öfters und je länger sie eine Prothese tragen. Das kann man damit erklären, dass der Stumpf einem permanenten Druck oder Reizen ausgesetzt ist, der sogenannten sensorischen Stimulation. Der Patient hat die Vorstellung, dass er mit der Prothese das fehlende Körperteil wieder zurückerlangt hat. Auch berichten einige Patienten darüber, dass das Tragen von einem Strumpf mit Silberfäden in der Nacht (Relax Night Care) die Phantomschmerzen günstig beeinflusst.
Therapie mit Medikamenten
Die jedoch meistens angewandte Therapieform bei Phantomschmerzen ist die mit Antidepressiva und Opioiden. Auch hier sollte ein Mediziner immer zur Seite stehen. Er bestimmt die Dosierung und Anwendungsdauer. Man sollte sich bei dieser Behandlungsmethode aber im Klaren sein, dass es hier auch zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen kann. Seit kurzem wird in der Therapie bei Phantomschmerzen auch dass Medizinische Cannabis angewendet. Allerdings gilt auch hier: Cannabis ist kein Wundermittel und hilft nicht allen Patienten. Menschen mit einem hohen Risiko an Vorerkrankungen am Herzen sollten besondere Vorsicht walten lassen. Bei dieser Form der Therapie gilt besonders: Nichts ohne Rücksprache mit einem Schmerzarzt. Dieser bestimmt die Dosis.
Ablenkung bei Phantomschmerzen
Das ist die einfachste und risikoloseste Therapieform in der Behandlung von Phantomschmerzen. Man kann sich in sein Hobby oder seine Arbeit stürzen, wobei eine hohe Konzentration gefordert ist. So hat das Gehirn keine Chance sich auf den Schmerz einzulassen. Der einzige Nachteil hier ist jedoch, dass der Schmerz in den meisten Fällen danach wieder auftritt.
Fazit zum Phantomschmerz
Ich hoffe, dass ich Euch einen kurzen Überblick über die unterschiedlichen Therapieformen bei Phantomschmerz verschaffen konnte. Wie in allem anderen auch, muss jeder für sich selbst herausfinden, was für ihn die beste Form der Therapie ist. Wichtig bei allen Therapieformen ist vorab das Gespräch mit dem behandelnden Arzt. Nichts sollte ohne die medizinische Abklärung durchgeführt werden.
Ich habe mich für die Form der Ablenkung entschieden, hier profitiere ich am besten davon. Je länger ich abgelenkt, bin umso eher bleibt der Phantomschmerz weg beziehungsweise aus.
Sollten Fragen bestehen darf gerne kommentiert werden. Ich versuche, alles nach bestem Gewissen zu beantworten und stehe mit Rat und Tat zur Seite.
Danke – Das ist sehr gut erklärt und hilft vielen Betroffenen sicherlich, das Problem zu verstehen. Information ist essentiell um sich Problemen sachlich stellen zu können und sie zu verarbeiten.
Super erklärt liebe Sigrun. Ich habe im Krankenhaus direkt mit der Spiegeltherapie begonnen mir hat sie geholfen . Phantomschmerzen kenne ich fast gar nicht. Medikamente gegen Phantomis nehme ich auch nicht. Für den Notfall steht der Spiegel bereit. Liebe Grüße Ulrike